4. Ulmer Laufnacht 2012 (100km)
Schon zum Dritten mal starte ich bei der Ulmer Laufnacht in Blaustein. Für mich ist und bleibt der 100km Rundkurs in und und um Ulm herum eine der schönsten Laufveranstaltungen.
Diesmal gibt es aber keinen Bericht von mir, sondern von Alex. Ich lernte Alex vor Jahren beim ARQUE-Lauf kennen. Wir kamen ins Gespräch und so erzählte er mir auch von einem lustigen Clown der ihn beim Mainz-Marathon motiviert hatte. Tja, die Läuferwelt ist klein, denn der Clown bin ich entgegnete ich ihm damals.
Knappe 2 Jahre sind seit dem vergangen und Alex ist neuerdings selbst als Robin Hood auf Marathonstecken unterwegs. In Ulm hat er nun seinen ersten 100er gefinisht.
Alex in der Mitte bei KM75 |
Hier jetzt endlich sein Bericht :
Kurz nach 17 Uhr komme ich mit Sascha
in der Lix-Sporthalle an. Ihn hab ich bei einem Lauf letztes Jahr
kennengelernt und beim Mainz und Würzburg-Marathon wieder getroffen.
Per Mail hatten wir ausgemacht das wir
uns in der Bahn von Stuttgart nach Ulm treffen.
Ulmer-Laufnacht heißt dieser Lauf, der
eigentlich in Blaustein startet.
Eine nette Gemeinde mit gut 15.000
Einwohnern 10 km westlich von Ulm.
In der Halle ist es noch sehr leer, nur
drei oder vier Läufer dösen auf Turnmatten rechts in der Halle und
wenige Helfer wuseln herum. Wir schnappen uns zwei Matten und richten
uns ein wenig ein.
Wir sind sehr früh da. Erst in einer
Stunde ist Ausgabe der Startnummern.
Auf einer Mannshohen Tafel ist der
Streckenplan zu sehen, den ich schon seit Monaten auf meinem
Bilderschirm als Hintergrund hatte. Zur Motivation für mein
Training.
Es scheint mir geholfen zu haben. Mein
Trainingsplan, der auf 13 Stunden ausgelegt ist, konnte ich recht
diszipliniert einhalten.
Da der Start erst um 23 Uhr ist, haben
wir noch viel zu viel Zeit und statten dem örtlichen Rewe einen
Besuch ab.
Mir ist elend langweilig und ich bin
angespannt. Wir vertrödeln Zeit vor der Halle auf einer Bank.
Ein kleiner Teich, Bäume, Sträucher
und viel sonstiges Grün.
Hier lässt es sich gut aushalten.
Während wir auf der Bank sitzen und
die warme Sonne genießen kommen nach und nach immer mehr Leute. Wir
genießen ein leckeres Bier und etwas Laugengebäck.
Nach einer gefühlten Ewigkeit
schlendern wir wieder in die Halle um unsere Startnummer und das
Teilnehmer-Shirt zu holen.
Dieses wird erst zum Finisher-Shirt
sobald man auch wirklich ins Ziel gelaufen ist. Denn da bekommt man
erst den Aufdruck „100km Finisher“.
Das wird aber noch sehr lange dauern,
genaugenommen wird es erst gegen morgen Mittag sein. Die Zeit
verrinnt sehr zäh während wir auf den Matten Dösen oder
herumlaufen. Bei uns, im hinteren Bereich der Halle richtigen sich
immer mehr Läufer auf den Turnmatten ein.
Booah, ist mir langweilig. Ich krame
meinen mp3Player heraus und will etwas dösen.
Dabei stelle ich fest, das ich Idiot
versehentlich eine Leere Batterie anstatt der vollen rein gesteckt
habe. Dann wird die Nacht eben ohne gelaufen und irgendwie werde ich
die Stunden in der Nacht schon aushalten. Irgend wann beginnt das
Spiel Deutschland gegen Griechenland nach dem ich eine kleine
Schüssel Spätzle verdrückt habe. Sascha nimmt das Angebot nicht
war, da er bedenken hat was sein Magen machen könnte.
Der durchgehend hohe Geräuschpegel in
der Halle will mich nicht schlafen lassen.
Als ich dann doch endlich einschlafe
muss Deutschland natürlich ein Tor schießen und die zwei bis
dreihundert Leute in der Halle jubeln.
Oh Man ! Ich schrecke hoch und bin
wieder wach.
Die letzten Spiele der Deutschen
Nationalmannschaft hatte ich zwar gesehen, mache mir aber heute
nichts draus. Meine Gedanken kreisen um die nächsten Stunden und die
zu bewältigenden 100 km.
Als endlich Halbzeit ist beginnt das
Briefing für die Läufer.
Das ist relativ kurz gehalten und dreht
sich um besondere Stellen der Strecke und der Markierungen. Danach
kann ich endlich wieder etwas schlafen und nicht mal der Torjubel
während der zweiten Halbzeit lässt mich hochschrecken.
Endlich sind die Stunden vergangen. Wir
bereiten und langsam vor, ziehen uns um, befestigen unsere
Startnummer und gehen unsere Ausrüstung durch. Sämtliche Läufer
erinnern an Grubenarbeiter da jeder eine Stirnlampe trägt.
Die ist Pflichtausrüstung. Wie ich
später noch fest stelle, ist es an manchen Teilen der Strecke
Stockdunkel und wirklich nötig wenn man nicht jemanden mit einem
starken Strahler bei sich hat.
Wir bewegen uns durch die Menge an
Menschen und werden staunend gemustert, als sie auf unseren
Startnummern lesen „100km Einzel“. Ein Großteil der Läufer in
der Halle sind Staffelläufer der Zweier, Vierer oder Achterstaffeln,
oder 50km Einzelläufer.
Wir geben unsere Taschen ab damit wir
sie sofort nach dem Zieleinlauf griffbereit haben.
Bis zum Start welcher auch gleichzeitig
Ziel ist, sind es zwar nur wenige hundert Meter, aber die will man
uns wohl nach dem Lauf ersparen.
Ein Staffelläufer spricht mich an und bekundet mir seinen größten Respekt und wünscht mir Glück und einen guten Lauf. Angespannt und nervös wie ich bin erwidere ich nur „Wird schon“.
Ein Staffelläufer spricht mich an und bekundet mir seinen größten Respekt und wünscht mir Glück und einen guten Lauf. Angespannt und nervös wie ich bin erwidere ich nur „Wird schon“.
Ich nicke freundlich und gehe mit
Sascha zum Start. Von weitem können wir drei Heißluftballons sehen.
Wie ich schon oft im Internet gelesen habe, sollen diese zum Takt der
Musik glühen. Immer mehr Läufer und Zuschauer finden sich im
Robert-Epple-Stadion ein.
Wobei Stadion eigentlich etwas
übertrieben ist. Sportplatz würde besser passen.
Musik ertönt und der Sprecher ermahnt
alle Leute denn Innenraum frei zu lassen. Hier wird in wenigen
Minuten das Feuerwerk gestartet. Wir reihen uns ganz hinten ein, da
vorne ja sowieso die schnellen Staffelläufer starten. Alle sind
nervös und aufgeregt und jeder zeigt es anders. Der eine ist
äußerlich ruhig, andere sind am Quasseln. Überall werden Fotos
gemacht.
Auch wir werden gefragt ob wir von
Läufern ein Bild machen und lassen uns selbst Fotografieren.
Scheiße, bin ich nervös !!!
Hier möchte ich mich schon mal
entschuldigen für meine Wortwahl im weiteren Text.
Um besser darstellen zu können wie es
mir ging und was ich erleidet habe, werde ich kein Blatt vor den Mund
nehmen.
Wenige Sekunden noch bis 23 Uhr und man
hört den Sprecher wie er die Sekunden runterzählt.
Viele zählen mit.
Fünf, vier, drei zwei, eins.
Der Startschuss ertönt und das
Feuerwerk geht los. Raketen fliegen hoch und zerplatzen am Dunklen
Himmel, breiten ihre funkelnde Pracht aus. Fontänen glitzern golden
mehrere Meter hoch.
Dazu das Lied „Chariots of Fire“
von Vangelis. Verdammt, mir läuft es eiskalt den Rücken runter und
ich muss mich beherrschen damit mir keine Tränen aus den Augen
kullern.
Normalerweise bin ich nicht wirklich
ein Freund von Feuerwerk. Aber heute haut es mich von den Socken.
Wenige hundert Meter nach dem Start bekomme ich auch meine Uhr
gestartet.
Vor Aufregung hatte ich nicht kapiert
das meine Uhr die Höhe kalibrieren wollte.
Das Stadion und das Feuerwerk hinter
uns lassend laufen wir durch Blaustein.
Nach und nach zieht sich das Feld
auseinander und man kann sofort problemlos sein Tempo laufen.
Vor manchen Häusern stehen Anwohner
und feuern uns an und verbreiten gute Stimmung.
Mich erreicht die Stimmung irgendwie
nicht. Ich habe keine Ahnung was mit mir los ist, aber Lust zu laufen
hab ich nicht besonders. Eher emotionslos laufe ich einfach den
anderen nach. Sascha ist neben mir. Da er hier schon zum dritten mal
läuft habe ich mich an ihn dran gehängt.
Schnell sind wir aus Blaustein heraus,
laufen die Blau entlang und passieren Arnegg.
Schon nach drei oder vier Kilometer
sind vor uns kaum noch Läufer zu sehen, nur noch deren Lampen.
Hinter uns hat sich eine kleine Gruppe Läufer und Läuferinnen
gesammelt.
Wahrscheinlich passt unser Tempo zu dem
ihrigen.
Die ersten 5 Kilometer sind schnell
hinter uns und von nun an geht es die weiteren 5 Kilometer 140
Höhenmeter bergauf. Richtig spüren kann ich die Steigung nicht,
erkenne es aber an den vielen Lichtern hinter uns.
Es läuft richtig gut bergauf.
Aber warum zum Teufel hab ich absolut
kein Bock aufs Laufen ?
Ich versuche nicht weiter nachzudenken
und spule mit Sascha und unseren kleinen Gruppe die Kilometer ab.
Schnell sind wir an Markbronn vorbei
und 10 Kilometer sind erledigt.
Ab jetzt geht es die nächsten 10
Kilometer fast nur noch bergab. Bei Kilometer 11,5 ist die erste
Wechselstelle für die Achterstaffel in Eggingen. Hier lassen wir uns
einen Moment Zeit um etwas zu trinken. Obwohl ich meine Beiden
Flaschen im Gürtel habe, bin ich doch froh nicht nur Wasser zu
trinken.
Nach Eggingen geht es abwechselnd
bergauf und bergab. Bei Kilometer 14 gehen wir zum ersten mal an
einer ordentlichen Steigung. Laufend wären wir eh nicht schneller
und gehen ist dann kraftsparender. Wenige Zeit später geht es wieder
bergab.
In einer Mail von Sascha lass ich das
die zweite Hälfte härter sein soll, da es dort mehr Steigungen
haben soll. So ganz kann ich das nicht glauben, werde es aber später
noch bereuen das ich mich nicht intensiver mit dem Höhenprofil
beschäftigt habe. Ich laufe also einfach weiter.
Alle schweigen, ich auch. Mir ist
langweilig und ich hab immer noch keine Lust zu laufen.
Man was soll das noch werden. Bei
Kilometer 20 erreichen wir die nächste Verpflegungs und
Wechselstelle der Staffeln in Erbach. Hier gibt es reichlich zu
knabbern und warme Getränke. Wir lassen uns Bouillon-Brühe reichen
und ich greife mir noch eine Handvoll Brezeln. Die warme Brühe tut
richtig gut, da es doch recht kühl ist. Die wenigen Staffelläufer,
Helfer und Zuschauer muntern auf und feuern uns an.
Weiter geht’s. Nach 5 Kilometern
überqueren wir die Donau auf einer großen Staumauer.
Fast spürt man die Vibrationen der
Turbinen die rechts in dem Betonklotz stehen. Kurz hinter der
Staumauer gibt’s schon wieder eine kleine Verpflegungsstelle.
Ich trinke nur etwas und Sascha schickt
mich weiter als ich auf ihn warten will.
Ich kann es nachvollziehen. Keine
Ahnung wie ich damit un´mghen würde.
Ab jetzt beginnt für mich der härteste
Teil der Nacht. Es ist kurz vor 3 Uhr und mein Körper und Geist will
eigentlich schlafen. Eine Ewigkeit starre ich schon in den Lichtkegel
meiner Stirnlampe
und die fahle Umgebung huscht langsam
an mir vorbei. Es geht entlang an Feldern und kleinen Waldstücken.
Einige hundert Meter vor mir sehe ich immer wieder ein Licht, welches
von einem Läufer vor mir sein muss, hinter mir kann ich dann und
wann auch jemanden ausmachen.
Stundenlang wird es noch dunkel sein
und meine Psyche fängt an etwas zu spinnen.
Es geht über Feldwege und Straßen,
teilweise schnurgrade und das nervt.
Es nervt mich richtig und ich weiß
nicht warum. Ich habe das Gefühl das ich nicht vom Fleck komme. Kurz
vor Kilometer 30 komme ich wieder an einer Verpflegungsstelle vorbei.
Eine Gruppe von Jugendlichen betreut
die Tische mit guter Laune und versuchen mich aufzubauen.
Völlig emotionslos und mit
ausdruckslosem Gesicht stehe ich da und schütte ein Becher Iso
runter. Auf Anfrage einer jungen Frau ob alles in Ordnung ist schreie
ich schon fast heraus das ich absolut keinen Bock mehr habe zu
laufen. Ob sie mir geantwortet hat, weiß ich nicht mehr. Aber es tut
mir leid das ich so unfreundlich war. Ich bedanke mich bei den
Helfern und laufe weiter. Jetzt geht es von Unterweiler nach
Unterkirchberg.
Die Umgebung ändert sich kaum. Immer
noch Felder, immer noch geradeaus und es kotzt mich an. Nur ab und zu
gibt es einen Richtungswechsel.
Mir kommt der Gedanke ans Aufgeben in
den Sinn, der wird aber sofort verdrängt.
Nach Unterkirchberg geht’s über
einen kleinen Bach und gibt es wenigstens etwas Abwechslung in Form
einer langen Steigung. Die Hälfte laufe ich hoch und gehe dann zum
gehen über.
Meine Psyche spinnt immer noch als ich
laut fluche : „Verdammte Kacksteigung“.
Plötzlich geht oben eine Lampe an und
ich sehe einen Helfer der lachend zu mir herunter ruft das ich gleich
oben bin. Ich bedanke mich und laufe weiter.
Wenige Momente später stehe ich schon
wieder vor der nächsten Verpflegungstelle.
Es ist kühl, mein Körper will
schlafen und nicht laufen, ich hab kein Bock mehr und will hier
eigentlich nur weg, nach hause. Das scheint mir eine Helferin
angesehen zu haben und versucht mich mit einem Becher warmen Tee
aufzubauen.
Oh man, schmeckt der gut !
Ich lasse mir noch einen Becher geben
und greife spontan zu einem kleinen Päckchen Salz, da ich doch,
trotz dem da es kühl ist, ordentlich schwitze.
Damit das Salz nicht so beschissen
schmeckt gebe ich es kurzerhand in den Tee und spüle diesen flott
herunter. War zwar auch nicht der Hit, aber besser als das Salz
alleine.
Den kleinen Berg den ich eben hoch bin,
geht’s jetzt wenigstens wieder runter und ich kann den Lichtschein
von Ulm sehen. Etwas Abwechslung bietet das Laufen durch
Unterkirchberg. Nach Stunden endlich mal wieder anderes Licht als das
meiner Stirnlampe. Nach wenigen Minuten ist aber auch Unterkirchberg
hinter mir. Ich laufe auf einen anderen Läufer auf und frage ob es
ihn stört wenn ich eine Weile bei ihm bleiben kann. Sichtbar erfreut
über eine Begleitung sagt er zu. Wir laufen nun an der Iller entlang
die wenige Kilometer weiter in die Donau münden wird. Auch hier ist
es öde, man kann die Iller kaum sehen und es geht schon wieder
geradeaus. Mein Mitläufer hat auch nicht die beste Laune wie er mir
erzählt und wir muntern uns auf das wir ja wenigstens bald die
Marathondistanz überlaufen werden. Und dann dauert es auch nicht
mehr so lange bis die Dämmerung einsetzt. Ich hoffe das mich die
Dämmerung wenigestens etwas aufmuntern kann.
Die öde und finstere Strecke an der
Iller vergeht schnell und wir biegen bald nach links in das Kloster
Wieblingen ab. Ein düsterer Kasten der bei Tageslicht bestimmt nett
ausschaut.
Das ist mir aber scheißegal. Nicht
egal ist mir die Verpflegungstelle im Hof an die ich mich kaum noch
erinnern kann. Ich weiß nur noch das die Atmosphäre im Hof sehr
gespenstisch war. Wir laufen wieder an der Iller entlang.
Gott, was ödet mich die Strecke an.
Mein Kopf spinnt immer noch und ich denke mir das es hier tagsüber
bestimmt recht schön ist. Fast unbemerkt haben sich zwei oder drei
Läufer von hinten genähert und laufen mit uns weiter. Minutenlang.
Keiner redet ein Wort. Obwohl ich ja
sonst eine Quasselstrippe bin, habe ich auch keine Lust.
Ich versuche mich damit zu motivieren,
das wir bald in das Donau-Stadion einlaufen werden.
Ab da ist Halbzeit und 50 Kilometer
sind erledigt. Die Marathondistanz haben wir schon seit Minuten
hinter uns gelassen. Nun geht es über den Illerbogen an der Donau
ein kurzes Stück entlang. Hier fließt die Iller in die Donau, aber
auch das ist mir völlig egal.
Wenige Momente verweile wir an der
nächsten Verpflegungsstelle und dann rüber über die Donau.
Es ist nicht mehr weit bis zum
Donau-Stadion. Schade das es noch dunkel ist. Die Ulmer Altstadt
kenne ich von Fotos, aber die Dämmerung hat grade erst eingesetzt.
Ich versuche trotzdem ein Foto zu machen und lasse meinen Mitläufer
ziehen.
Völlig umsonst.
Trotz Nachtmodus meiner Digitalkamera
gelingt mir kein vernünftiges Foto.
Die anderen Läufer hatten wir schon an
der Verpflegungsstelle hinter uns gelassen.
Wenige Minuten später bin ich wieder
bei ihm und er macht mich auf die Fledermäuse aufmerksam
die knapp über unsere Köpfe
hinwegfliegen. Es lenkt mich etwas ab.
Die wenigen Kilometer bis zum Stadion
wird es langsam heller und ich kann Schwäne mit ihren Jungen auf der
Donau sehen. Eine Ente, an der ich nur wenige Zentimeter vorbeilaufe
nimmt mich nicht mal war. Sie hat keinen Sinn für das was ich hier
mache und sucht im Gras etwas fressbares.
Die Ablenkung reicht nicht lange,
mittlerweile finde ich den Weg doof, die Bäume und auch die Steigung
die es nun rauf geht.
Alles Doof !
Oben angekommen geht es nach links und
da ist endlich das Donau-Stadion.
Vor dem Stadion sehe ich Sascha wieder.
Ich habe gar nicht richtig mitbekommen wie er mich überholt hat.
Im Stadion laufen wir eine halbe Runde
und es ist Halbzeit. Hier beenden die 50 Kilometer-Läufer ihren Lauf
oder diejenigen, die ab hier starten, gehen auf die Strecke.
Es ist gespenstisch. Die Dämmerung hat
schon vor einiger Zeit eingesetzt und am Himmel sieht man das fahle
Licht der Sonne. Die aber schafft es noch nicht über den Horizont
und braucht noch eine Weile.
Hier trinke ich ein Paar schlucke Iso,
nehme ein Gel zu mir und stehe vor einer schweren Entscheidung. Ich
bin so unendlich deprimiert und meine Laune ist auf dem Nullpunkt.
Was mach ich jetzt ? Steige ich aus,
oder laufe ich weiter? Mir kommen die Tränen.
Ich könnte richtig losheulen.
Ich denke daran, das ich für den Lauf
ein gutes halbes Jahr trainiert habe. Und jetzt aussteigen ?
Bisher lief es eigentlich sehr gut. Ich
konnte sehr gut durchlaufen und hatte bis auf die Mentalen Probleme
keinerlei andere. Nur das ich verdammt noch mal immer noch absolut
kein Bock auf diesen Scheißsport habe.
Trotzig laufe ich weiter. Ich will
ankommen. Ich will die 100 Kilometer finishen.
Die 50 Kilometer bin ich ja schon in
Rodgau gelaufen. Und nun aufhören und einen halben Tag vertrödeln
bis mein Zug fährt ?
Kommt nicht in Frage. Ich werde diesen
Scheißlauf beenden. Auch wenn ich ins Ziel kriechen muss.
Ich stoppe kurz, verstaue meine
Stirnlampe und setzte mein Visor auf, welches schon stundenlang
hinten an meinem Trinkgurt baumelt.
Es ist schon deutlich heller als ich
wieder die Donau überquere. Von Sascha weiß ich das es jetzt gut 8
oder 9 Kilometer schnurgrade an der Donau entlang geht und es sehr
hart für den Kopf sein soll.
Mal schauen.
Es muss jetzt zwischen 6 oder 7 Uhr
morgens sein. Ich schaue zwar ab und zu auf die Uhrzeit, vergesse es
aber sehr schnell. Wohl doch ein ordentlicher Tunnelblick der meinen
Kopf fest im Griff hat ?
Ich motiviere mich damit das ich die
Kilometerzahlen auf meiner Laufuhr nun runterzähle.
Ewigkeiten zieht sich der scheiß Weg
und geht mir voll auf die Nerven. Sascha hat mich schon vor Minuten
wieder überholt und ich sehe ihn und einen anderen Läufer weit vor
mir.
Hinter mir ist in weiter Entfernung
auch jemand zu sehen.
Weiter, einfach weiter.
Langsam aber sicher schmerzen mir die
Beine und ich muss kurze Gehpausen einlegen.
Nach 5 Kilometer geht es über eine
Brücke auf die andere Donauseite.
Hier sitzen zwei hübsche Mädels an
einem kleinen Tisch mit Wasser.
Ich bin dankbar über die kurze Pause
und die Mädels fragen wie es läuft.
Kurz angebunden sage ich das die Nacht
echt beschissen war, es aber wenigsten nur noch 44 Kilometer bis ins
Ziel sind. Mit großen Augen und viel Anerkennung werde ich
verabschiedet.
Boooah, immer noch an dem Kackfluss
entlang. Aber nicht mehr lange.
In weiter Entfernung kann ich sehen wie
Läufer nach links abbiegen, brauche aber trotzdem eine kurze
Gehpause. Ich unterhalte mich kurz mit einem Wanderer, der schon um
19 Uhr gestern gestartet ist. In Erinnerung ist mir leider nichts
geblieben, war aber ein netter Kerl um die fünzig.
Endlich biege ich auch nach links ab,
weg von dem Drecksfluss.
Geradeaus geht es nun nach Elchingen
und ich laufe auf Sascha wieder auf.
Ich berichte auf Nachfrage von meiner
beschissenen Horrornacht und bemerke wie sich mein Befinden
schlagartig ändert. Ich kann es kaum fassen. Jetzt wo die Sonne über
den Horizont scheint, hat es scheinbar bei mir einen Schalter
umgelegt.
In mir steigt ein Trotz und Wille auf,
den ich so nicht kannte.
Ich fluche laut das ich den Scheisslauf
beenden werde. Mir ist alles egal.
Irgendwie werde ich schon ankommen.
Keine Ahnung was Sascha in diesem Moment gedacht hat.
Wahrscheinlich das ich einen
Dachschaden habe.
Gemeinsam geht es nun eine Steigung
hoch die sich Napoleonrampe nennt.
Oh mann, geht es hier hoch. Anfangs
versuche ich noch zu laufen, gebe aber wenige Augenblicke später auf
und gehe. An einer Bushaltestelle haben Jugendliche selber einen
Tisch mit Wasser aufgestellt. Einfach klasse was die machen. Für ein
Paar bekloppte, die meinen 100 Kilometer laufen zu müssen, ihre
Freizeit hier zu verbringen. Vorbei geht es an einem Spielplatz der
regelrecht in den Hang gebaut wurde. Hier ist es sehr schön und die
Kinder hier müssen bestimmt viel Spaß haben. Die werden aber grade
erst am aufstehen sein, oder noch schlafen. Es ist geschätzt 8 Uhr
in der Früh.
Es wird weiter gegangen. Oben
angekommen sehe ich ein nettes kleines Kloster und mache das ein oder
andere Foto.
Im Hof des Klosters ist die nächste
große Verpflegungstelle und machen wir kurz Pause.
Ich genieße wieder etwas Bouillon und
einige Bretzeln. Auch ein kleines Stück Schokolade gönne ich mir.
Verdammt, schmeckt das gut. Da muss man 60 Kilometer laufen um sich
an Kleinigkeiten zu erfreuen.
Als ich loslaufen will spüre ich einen
unglaublichen Wiederanlaufschmerz.
Sobald ich aber ein Paar Schritte
gelaufen bin geht es und ich schließe mich einem Läufer mit
Radbegleitung an. Ich muss ausgesehen haben wie ein alter Storch.
Während wir uns unterhalten erfahre ich das er Uli einer der
fleißigen Schreiber im Internet ist, dessen Laufbericht ich vom
letzten Jahr gelesen hatte. Die Welt ist doch klein.
Mittlerweile ist die Strecke
abwechslungsreicher. Es geht mal sachte bergauf und bergab, an
Feldern vorbei und durch Wälder.
Es wird hart, scheisshart. Meine
Lendenmuskulatur beginnt zu schmerzen und auch im Bereich der
Schulterblätter. Von meinen Beinen gar nicht zu reden.
Laufen ist das schon lange nicht mehr.
Eher ein schlurfen oder tippeln.
Ich versuche bei jeder Bewegung Kraft
zu sparen.
Ich mache immer wieder Späße, das ich
ja so sehr kaputt noch gar nicht sein kann, wenn ich sogar noch
Schnecken auf dem Weg ausweichen kann.
Aber mal ernsthaft, warum soll ich die
Tiere tottreten nur weil ich hier laufen muss.
Kesselbronn hinter uns lassend laufen
wir nun in ein kleines Waldstück und die Sonne wird immer wärmer.
Öfters hatte ich davon schon gelesen, bis jetzt aber vergessen.
Wir laufen bei Kilometer 70 auf die
„Inoffiezielle Verpflegungsstelle“ bei Kilometer 70 an.
Eine Familie opfert ihre Freizeit und
hat ein oder zwei Tische am Arsch der Welt aufgestellt und versorgt
die Läufer aus eigener Tasche. Einfach klasse solche Menschen.
Den Läufer mit der Radbegleitung kann
ich nicht mehr folgen und es geht alleine weiter.
Nach einigen Kilometer geht es jetzt
grade an einer Bahntrasse entlang. Selbst die kleinste Steigung muss
ich gehen. Etwas verwundert sehe ich an einem einsamen Haus neben der
Trasse einen Kasten Wasser stehen.
Wie nett !
Da mir aber nicht nach trinken ist,
laufe ich daran vorbei. Die Strecke an der Trasse entlang geht mir
total auf den Sack.
Wieder einfach nur grade und nach einer
Weile geht’s glatt über eine Brücke und zurück.
Ich spüre jetzt deutlich die
Müdigkeit. Mir fallen immer die Augen zu und laufe fast in die
Felder.
Weil das nicht reicht, geht’s nach
der Trasse in Juningen richtig fies bergauf.
Keine Chance, das kann ich nicht mehr
laufen, muss gehen.
Sascha schließt zu mir auf und
überholt mich.
Ich bin einfach nur fertig.
Sascha ruft noch zurück „ Auf !
Weiter. Oben um die Ecke ist die nächste Verpflegungsstelle“.
Ich beschleunige meine Schritte und bin
oben. Vor einer Scheune stehen mehrere Tische und gutgelaunte ältere
Herren kümmern sich sehr vorbildlich um uns Läufer.
Fünf oder Sechs sind wir hier und es
kommen noch welche.
Auf nachfrage lasse ich mir zwei
Kartoffeln und Salz reichen.
Herrlich wie die schmecken.
Zum allerersten mal setzte ich mich
seit dem Start auf eine Bank und genieße den Geschmack.
Mit den anderen plaudere ich noch
wenige Minuten und nach und nach macht sich jeder wieder auf den Weg.
Nur noch 25 Kilometer bis ins Ziel.
Oh mein Gott, hier geht es wieder
ständig bergauf und ab. Es geht quer durch Juningen. Das ganze Kaff
scheint noch zu pennen. Ich laufe an einer Baustelle vorbei aus dem
Ort heraus. Wieder geht’s hoch.
Ich habe eine schwere Krise, kann kaum
noch laufen.
Was mir nicht schmerzt ist leichter zu
beschreiben. Ich könnte mich hier einfach auf den Asphalt legen und
stundenlang schlafen. Ich greife mein Handy und schicke an wenige
Menschen eine Sms über meinen Zustand. Erhoffe mir Motivation von
den Antworten und habe dabei völlig vergessen wie früh es ist. Nach
einigem auf und ab komme ich an einer Bundeswehr-Kaserne vorbei.
Hier geht’s in ein kleines Waldstück
und eine Joggerin kommt mir entgegen.
Fast entsetzt schaut sie mich an und
blinkt auf meine Startnummer. Sehe ich wirklich so beschissen aus ?
Muss wohl so sein.
Meine Mimik macht schon seit Stunden
Pause.
Unerwartet taucht vor mir eine
monströse Festung auf. Wie ich gelesen habe ist das Die
Wilhelmsburg. Eine riesige und imposante Festungsanlage aus aus dem
18. Jahrundert.
Im Schlurfschritt bewege ich mich eine
Rampe hinunter in den Festungsgraben, dann ein mal 180 Grad nach
rechts und da stehen wieder Tische. Dankbar greife ich mir ein Paar
Becher Cola und Iso und mixe das Ganze. Der jeweilige Geschmack hängt
mir schon zum Hals raus. Beides zusammen geht wenigstens. Die Helfer
hier, wie auch an jeder Verpflegungsstelle sind wirklich klasse.
Rührend kümmern sie sich um uns Läufer. Ich mache Späße mit
einer jungen Mutter und ihrem kleinen Sohn und setzte mich wieder in
Bewegung. Einige Momente geht es weiter durch den Burggraben und dann
eine andere Rampe hoch. Mir kommt wieder die Joggerin entgegen und
wir grüßen uns gegenseitig und sie ruft mir noch „Viel Glück“
hinterher. Der nächste Abschnitt der Strecke nett sich Achterbahn.
Das passt recht treffend, da es ständig rauf und runter geht.
Kurz vor einem Autobahnkreuz treffe ich
auf Stefan, wie er sich mir vorstellt. Er ist hier schon zweimal als
Radbegleitung mitgefahren und läuft, wie ich, hier zum ersten mal
100 Kilometer. Unter der Autobahn hindurch geht es jetzt nach Lehr.
Puh, mal nicht rauf und runter und etwas Abwechslung durch die
Straßen zu laufen. An der Verpflegungsstelle in Leer fülle ich eine
meiner Flaschen auf und lasse mir Zeit ein Radler zu trinken. Stefan
läuft schon weiter. Ich tauche noch mein Visor in eine Wanne mit
Wasser und folge ihm. Nach Lehr geht es wenige Minuten unter Bäumen
entlang, was sehr gut tut. Die Sonne steht schon recht hoch und wird
immer unangenehmer.
Hier überhole ich einen Läufer mit
weiblicher Radbegleitung. Wir hatten und schon öfters gegenseitig
überholt. Ihn werde ich später im Ziel wieder sehen. Scheinbar muss
er hier in die Büsche zum Pinkeln. Stefan wiederum kann ich nicht
mehr sehen. Er muss irgendwo vor mir sein.
Ich laufe an einem Pärchen mit
Kinderwagen vorbei die die morgendliche Sonne bei einem Spaziergang
genießen. Sie lächeln mich an als sie meine Startnummer sehen und
schon bin ich vorbei. Keine Ahnung was die Denken.
Oh Gott, schon wieder geht es
ordentlich rauf. Zu meiner Linken kann ich in ein kleines Tal
hinunter sehen und meine Befürchtung bewahrheitet sich. Unten sehe
ich mehrere Läufer. Also muss ich irgendwann auch da runter.
Schlagartig fällt es mir ein, hier muss die sogenannte „Mördersenke
liegen. Der Streckenplaner muss schon ein kleiner Sadist sein denke
ich mir als ich die Senke sehe.
Laut fluchend und schimpfend laufe ich
die Senke runter und überhole einen Wanderer.
Wobei, laufen ist das nicht mehr, eher
ein staksen und schlurfen.
Scheiße schmerzt das bergab !
Als mich der Wanderer hört, lacht er
auf wegen meiner Fluchtiraden und feuert mich an : „Respekt ! Halt
durch, bald biste im Ziel“.
Danach geht’s die nächste Steigung
rauf und noch mal ein fieses Gefälle runter. Vor der nächsten
langen Steigung läd ein Tisch ein wieder etwas zu trinken. Ein Teil
kann ich bergauf laufen, ein Teil muss ich gehen. Als ein riesiger
Tankwagen der Bundeswehr an mir vorbei fährt fällt es mir ein.
Hier durchlaufen wir einen
Truppenübungsplatz.
Einen Teil der Läufer, die vor wenigen
Augenblicken noch vor mir waren, kann ich nicht mehr sehen.
Also geht es wieder runter. Zwei Läufer
vor mir hole ich ein und lasse sie hinter mir, bevor ich mit
schmerzverzerrtem Gesicht das nächste böse Gefälle runter laufe.
Gottverdammte Scheiße ! Wieder hoch.
Ich kann Steigungen nur noch hochgehen. Für mehr reicht die Kraft
nicht. Während ich hochgehe treffe ich wieder auf Stefan. Äußerlich
sieht er noch gut aus, meint aber das es ihm auch schon sehr
beschissen geht.
Nun einmal geradeaus, einmal links und
90 Kilometer liegen hinter uns.
Stefan geht in ein Zelt hinter den
Tischen der Verpflegungsstelle und meint er müsse sich massieren
lassen. Das lasse ich mir nicht zwei mal sagen. Ein netter Kerl,
Mitte zwanzig, fragt mich wo es den besonders weh tut. Ich erkläre
es ihm kurz, lege mich auf eine Liege und lasse mir den Rücken
massieren. Nach weniger als fünf Minuten reibt er mir noch ein
Kühlgel auf den Rücken.
Aaaaaah, fühlt sich das klasse an. Ich
lege wieder mein Gurt um und laufe weiter, Stefan hinter mir lassend.
Herrlich, endlich geht es mal nicht hoch oder runter. Trotz dem sind
meine Beine so müde das ich immer wieder Gehpausen machen muss.
Ätzend lang zieht sich jeder Kilometer. Ich spüre an meinem rechten
Fuß eine Blase. Tut zwar weh, ist aber auszuhalten.
Als ich eine Straße überquere,
bedanke ich mich bei einem Feuerwehrmann der die Fahrzeuge anhält.
Freundlich lächelnd ruft er mir noch nach : „Bald haste es“.
Bei Kilometer 94 lasse ich noch ein
Bilder von mir von einem Wanderer machen.
Das muss sein. Schließlich hab ich
öfters im Internet Bilder gesehen vor dem Schild „Bollingen grüßt
die Läufer der langen Ulmer-Laufnacht“. Klar warum ?
Kurz danach ist auch endlich Kilometer
95 erreicht und die vorletzte Verpflegungsstelle.
Da ich mir sicher bin unter dreizehn
Stunden einzulaufen, gönne ich mir noch ein Radler. Die letzten
Kilometer die Felder entlang hat mir schon ordentlich die Sonne auf
die Birne gebrannt.
Jetzt erst bemerke ich, das ich
vergessen hatte bei Kilometer 90 zu trinken. Egal, bin ja bald im
Ziel.
Weiter wird gelaufen. Nur noch 5
Kilometer.
Für so eine Distanz ziehe ich mich
normalerweise nicht mal um.
Der Feldweg auf dem ich jetzt laufe tut
nur noch weh. Uneben und kräftezehrend.
Die weiche Dämpfung meiner Laufschuhe
hatte ich schon öfters verflucht, nun aber richtig.
Es kostet einen erheblichen Teil Kraft
die Dämpfung auszugleichen.
Teils laufend, teils gehend erreiche
ich den höchsten Punkt der letzten Kilometer.
Oh Gott, was ne Scheiße. Hier geht es
dermaßen steil runter das jeder einzelne Schritt unglaublich
schmerzt. Unten angekommen, beiße ich die Zähne zusammen und
schlurfe weiter.
Rechts entlang einen schmalen Weg und
eine kleine Steigung rauf.
Kilometer 97 und ein kleiner Tisch ist
erreicht. Schnell noch einen Becher Iso und Cola runtergeschüttet
und weiter. Für ein Paar hundert Meter hab ich nun Begleitung, muss
ihn aber ziehen lassen. Dafür schließt Stefan wieder auf.
„Die sehen aber nicht so aus als ob
sie es noch schaffen“ ruft ein kleiner Junge seinem Vater zu.
Völlig erschöpft sage ich leise nur :
„Arschloch“. Nicht aber so laut das es der kleine hört.
Der Vater läuft uns mit einem
Babyjogger hinterher und der kleine Bengel ist kurz hinter mir auf
seinem Fahrrad. Öfters ruft der Vater dem kleinen zu, das er ja
etwas Abstand halten soll.
Ich frage mich nur warum und schon ist
es passiert. Ich komme ins Straucheln und fliege fast aufs Maul.
Ok, er hat wohl schon häufiger Läufer
hier auf dem letzten Kilometer gesehen.
Stefan lasse ich jetzt hinter mir.
Wenigstens den letzten Kilometer will ich komplett durchlaufen.
Der Knirps ist jetzt nicht mehr hinter
mir, sondern fährt neben mir. Gut gelaunt erzählt der von dem
Fussballspiel gestern und mir fällt auf das er ein Trikot der
Deutschen Nationalmannschaft trägt.
Der kleine ist klasse. Er lenkt mich
von den Schmerzen ab wie ich in Blaustein einlaufe.
Nur noch wenige Straßen entlang, über
einen Bach und wenige Augenblicke Später höre ich schon den
Sprecher im Robert-Epple-Stadion.
Ich bedanke mich bei dem kleinen und laufe ein.
Eine halbe oder dreiviertel Runde muss
ich noch laufen. Kaum Zuschauer sind da, aber das ist mir egal. Ich
sehe etliche Läufer und Angehörige an einem großen Zelt auf Bänken
sitzen.
Es fällt alles von mir ab.
Ich nehme meine Sportbrille aus dem
Gesicht und wische mir mehrmals Tränen aus meinem Gesicht. Wie ich
auf die Zielgrade laufe sehe ich die Digitalanzeige: 12:55irgendwas.
Der Sprecher ruft laut in sein Mikro
das der nächste 100-Kilometer-Läufer ankommt und begrüßt mich mit
Namen und Verein.
Ich überlaufe die Ziellinie, stoppe
meine Uhr und lasse mich zu Boden sinken. Mehrere Helfer und
Helferinnen kommen sofort zu mir und fragen ob sie mir irgendwie
helfen können.
Ich bekomme den Zeitchip abgenommen und
ein Mädel fragt was ich trinken will.
Ich lasse mir eine Flasche Iso reichen
und hocke mich auf den Hintern.
Ich heule los. Ich kann die Tränen
nicht mehr zurück halten.
Momente später stehe ich wieder auf
und feuere den nächsten Läufer an.
Es ist Stefan. Wir beglückwünschen
uns gegenseitig.
Geschafft. Mein erster
100-Kilometer-Ultramarathon liegt hinter mir.
Beim Zelt setzte ich mich auf eine
Bank, ziehe erst mal meine Kompressionsstrümpfe aus und trinke die
Flasche Iso leer. Von allen Seiten bekomme ich Glückwünsche über
den ersten bestandenen !00er. Wir tauschen uns über erlebtes aus und
ich treffe Sascha wieder. Erst etwas weniger als eine halbe Stunde
vor mir im Ziel gewesen und hat sich schon mehrere Getränke und was
zu essen gegönnt. Ich stakse zum Lkw, in dem unsere Taschen lagern,
suche mein Shirt heraus und eiere ins Zelt. Hier greife ich mir nur
ein halbes Salamibrötchen und warte auf meinen verdienten Aufdruck
„100 km Finisher“. Vor dem Lauf hätte ich gedacht, das man
danach deutlich mehr Hunger hat. Aber bis auf die Flasche Iso und das
halbe Brötchen bekomme ich nichts runter.
Gegenseitig machen wir Späße und
irgendwer fragt schelmisch warum ich den so „unrund“ gehe.
Bis Sonntagabend wird es noch dauern
bis meine Beine nicht mehr schmerzen. Merkwürdigerweise habe ich
keinerlei Muskelkater danach. Nur dauert es bis Donnerstag bis ich
wieder halbwegs in meinem Schlafrhythmus bin.
Bis Sonntag dachte ich mir, einmal das
reicht. So etwas muss ich mir nicht noch mal antun.
Seit ein Paar Tagen bin ich mir sicher,
ich bin wieder dabei.
Also dann, bis nächstes Jahr Ulm.
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