Laugavegur-Ultra 2010

Ich bin krank geschrieben, also hab ich Zeit Laufberichte von Freunden zu veröffentlichen.

Hier ist der Bericht von Dieter vom Laugavegur-Ultra 2010 auf Island, danke Dieter, die Bilder machen mich sprachlos:
„Laugavegur“ (Straße der heißen Quellen) war über Jahrhunderte der Weg, den die Isländerinnen aus der Siedlung „Rauchender Fluss“ (Reykjavik) nahmen, um in eben diesen heißen Quellen ihre Wäsche zu waschen. Mit dem Wachstum Reykjaviks wurde Laugavegur eine innerstädtische Straße und schließlich die Haupteinkaufsstraße mit der höchsten Frequenz an Touristenshops und Restaurants. – Gedankenstrich – Einer der schönsten Wanderwege Islands führt von Landmannalaugar über drei Hütten und 55 km nach Thórsmörk, mithin für eine Viertageswanderung gedacht. Da dieser Wanderweg sehr gut frequentiert ist, läuft er unter dem Namen besagter Haupteinkaufsstraße „Laugavegur“. Das ist der Grund, weshalb man den „Laugavegur Ultra Marathon“ auf keiner Landkarte findet. Gleichwohl ist der Mitte Juli stattfindende Lauf Kult und im Januar innerhalb dreier Tage ausgebucht. 
Ich bin am vierten Tag auf die Warteliste gekommen und habe am sechsten Tag überraschend die Mitteilung meiner Startberechtigung bekommen. Mit der Flugbuchung wollte ich allerdings noch etwas warten, um den Lauf mit einer Woche Islandurlaub zu verbinden. Plötzlich brach der Eyjafjallajökull aus. Zunächst fielen reihenweise Flüge aus, es wurde ungewohnt ruhig auf Läufen in den weit reichenden Einflugschneisen des Frankfurter Flughafens. Dann kam eine Mail aus Reykjavik, dass die Laufstrecke 10 km am Eyjafjallajökull vorbeiführe und deswegen ein „Plan B“ vorbereitet werde, die Läufer aber kostenlos zurücktreten und sich für kommendes Jahr vormerken lassen könnten. Wenig später folgte die Nachricht, dass die Laufstrecke mit Vulkanasche bedeckt sei, man aber auf Regen hoffe. Also haben Heike und ich, ausnahmsweise auf Regen hoffend, unseren Urlaub geplant, Flüge und Hotel gebucht.
Die Begrenzung auf 400 Anmeldungen und die Rücktrittsmöglichkeit haben dazu geführt, dass im Endeffekt nur 310 Läuferinnen und Läufer angetreten sind, aufgeteilt in 83 Läuferinnen und 227 Läufer oder in 233 Is- und 77 Ausländer, davon 21 aus Großbritannien und je 8 aus den USA, Deutschland und Österreich. Startunterlagen konnte man sich ab zwei Tage vor dem Start im Büro des Reykjavik-Marathons im Sport-Union-Gelände in Laugardalur abholen, samt einem eisblauen langärmligen Funktionsshirt, einer Atemmaske gegen Vulkanstaub und einem Startnummerngurt mit integriertem Beutel, der gefälligst zur umweltschonenden Entsorgung von Geltütchen etc. genutzt werden sollte. Bei der Startnummernausgabe wurden auch Videoaufnahmen des letztjährigen Laufes gezeigt und – logisch – Läufererfahrungen in verschiedensten Sprachen ausgetauscht.
Der Start erfolgte um 9 Uhr in Landmannalaugar, 195 km von Reykjavik entfernt, allerdings über teilweise unbefestigte Straßen. Deswegen starteten – uuuääähh – um 4:30 Uhr die Busse am Sport-Union-Gelände. Immerhin war es schon hell, egal zu welcher Nachtzeit man aufgestanden wäre; denn die Sonne war nur von 23:30 bis 2:30 Uhr ein bisschen abgetaucht. Die Busse machten einen Zwischenhalt in Hrauneyjar mit der Möglichkeit, 20 Minuten anzustehen, um dann in 5 Minuten ein Frühstück herunterzuschlingen. Während der insgesamt dreieinhalbstündigen Fahrt waberten des Öfteren Schwefeldüfte durch den Bus, ohne dass die Läufer einander vorwurfsvoll anschauen mussten – wir passierten dampfende Quellen. Nach einer in Island unvermeidlichen Flussdurchquerung rollten die Busse am Startgelände in Landmannalaugar aus: Ein großer Campingplatz vor einer Lavawand bot ordentliche Facilities; die Camper wurden mit Schildern an der Toilettenanlage vor dem Einfall marodierender Läuferhorden zwischen 8 und 9 Uhr gewarnt.
Der Start erfolgte in drei farbig markierten Blöcken à 100 Läufer im Fünfminutenabstand, weil die Laufstrecke nach 200 m in schmalen Serpentinen die Lavawand hochführte. Danach bot sich ein überwältigendes Panorama der in allen Farben schillernden Ryolithberge. Zur Erläuterung: Ryolith ist ein vulkanisches Gestein aus Quarz und Feldspat; Berge sind das, wo es immer rauf- und runtergeht. Das Höhenprofil der Laufstrecke wies lediglich 400 positive und 900 negative Höhenmeter auf, das war aber nur die saldierte Höhendifferenz. Im Kleingedruckten der Startunterlagen fand sich etwas von 1.900 positiven Höhenmetern, erklärbar dadurch, dass die Strecke in Fieberkurven von einem Flusseinschnitt zur nächsten Bergkuppe führte. Ebenso waren die Entfernungsangaben zu den nächsten Hütten, sprich: Verpflegungsstationen, mit Vorsicht zu genießen. So hieß es „11 km as the crow flies“, also Luftlinie. Tatsächlich verlief die Strecke „wie der Bulle pisst“; das ist eine Äußerung eines Altkanzlers über Meinungsschwankungen der damaligen Opposition und damit zitierfähig.
Die Strecke war als Wanderroute gut markiert, an kritischen Stellen waren zusätzlich Fähnchen aufgestellt. Der Untergrund bestand mal aus Steinen, mal aus Sand oder Vulkanasche, grauen Schneefeldern und grünen Wiesen. Neben zahlreichen Bächen waren auch zwei Flüsse zu durchqueren, jeweils gesichert durch Seile und Hilfspersonen. Hinter die erste Flussdurchquerung des Bláfjallakvísl bei km 26 konnte man sich Laufschuhe und -bekleidung zum Wechseln anliefern lassen, wovon ich aber nach meinen bisherigen Erfahrungen mit nass gewordenen Kompressionsstrümpfen keinen Gebrauch machte. An den drei Verpflegungsstellen in Hrafntinnusker (km 10), Álftavatn (km 22) und Emstrur (km 38) wurden die Läufer nicht nur bestens versorgt, sondern auch akribisch abgehakt. Die Cut-off-Zeiten von vier Stunden in Álftavatn und sechs Stunden in Emstrur waren bei traumhaftem Wetter kein Thema, auch wenn es an einigen unwegsamen steilen Abstiegen durchaus zu Rückstaus kam. 
Im letzten Drittel führte die Strecke durch die angekündigten Aschefelder. Das machte einerseits das Vorankommen mühsamer, andererseits bekamen die Läufer den Auswurf des Eyjafjallajökull, der in Touristenshops zu 6 Euro im Glas verkauft wurde, kostenlos ins Gesicht geblasen. Die Atemmaske habe ich zwar nicht eingesetzt, aber ich möchte nicht wissen, wie meine Lungenbläschen aussahen, nachdem ich den Feinststaub zu Hause aus den Funktionsfasern gewaschen habe. Wohlweislich hatte ich meine ältesten, eigentlich schon aussortierten Trailschuhe gewählt (mit Materialermüdungslöchern, damit das Wasser abfließen konnte), um sie nach dem Lauf der Vulkangöttin zu opfern.
An der letzten Flussdurchquerung des Thröngá, 4 km vor dem Ziel, erwartete mich Heike, um mich dann ein Stück zu begleiten. Die Strecke wechselte nochmals den Charakter zu lichter Bewaldung, im Hintergrund waren gewaltige Dampfschwaden als vulkanische Restaktivität zu sehen. Nach knapp acht Stunden im Ziel bot ich offensichtlich einen solchen Anblick, dass eine Helferin mir sofort einen Stuhl anbot. Das war allerdings kontraproduktiv, denn nach der ungewohnten Entlastung wollten sich meine Waden verkrampfen. So bewunderte ich stehend und dehnend die schöne Medaille, ein rechteckiges Stahlmedaillon an schlichter schwarzer Schnur, das man auch gut als Schmuck tragen könnte. Perfekt organisiert waren (in dieser Reihenfolge) die Gepäckausgabe, die Freilandduschen, ein kostenloses Barbecue mit Siegerehrung und der – extra zu bezahlende – Rücktransport. 
Insgesamt trägt der Laugavegur Ultra seinen Kultstatus zu Recht. Der Lauf durch eine aktive Vulkanlandschaft ist ein einmaliges Erlebnis. Nicht zuletzt dient die – dem hohen logistischen Aufwand angemessene – Startgebühr von 240 Euro als begrenzender Faktor. Island war schon immer etwas teurer, ist aber eine Reise wert."
Danke Dieter!
Alle Bilder von Dieter gibt es [hier]

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